Bunker Diary

Nicht nur in Städten, sondern auch in der Literatur findet man sie: Bunker. Es gibt viele Möglichkeiten, wie Autoren diese Orte aus Beton literarisch verarbeiten. Ein Beispiel ist Kevin Brooks. Seine Zielgruppe: die Jugend.

„vater komm erzähl vom krieg“ heißt es in einem Gedicht von Ernst Jandl. Der viel- und doch nichtssagende Titel des Jugendbuches „Bunker Diary“ lädt zu solchen Gedanken ein. Steht der Bunker doch als Sinnbild für den Krieg, den die heutige Generation an Großeltern noch erleben musste. Mit Krieg hat Kevin Brooks Jugendbuch jedoch nichts zu tun – wohl aber mit Bunker und Schrecken.

Sechs in einem Bunker

Sechs Personen und allen voran der 16-jährige Linus erleben in einem Bunker so allerhand. Von anfänglichen zivilisationsstiftenden Ordnungsversuchen bis zu animalischen Exzessen am Schluss: Es scheint, als durchlaufe die kleine Gruppe alle Schritte der Menschheitsgeschichte – rückwärts. Ausgeliefert sind sie einem unbekannten Entführer, der sie in jenem Bunker festhält.

Dieser Entführer entwickelt sich im Laufe des Romans zu einer gottähnlichen Gestalt – per Briefe und Aufzug können die sechs mit ihm Kontakt aufnehmen. Der Aufzug bringt auch Nahrung, Medikamente, Rauschmittel oder auch nicht. Von ihm hängt ab, ob jeder noch so lange Tag zwischen  Betonwänden erträglich wird oder auch nicht. Ein Aufzug – gesteuert von dem Entführer – als Mittelpunkt der neuen kleinen Welt: ein gelungener Griff.

Jugendliche Überlegenheit

Mit dem Protagonisten Linus hat Brooks einen unglaublich starken und etwas frühreifen Jugendlichen geschaffen. Schon früh analysiert Linus die ausweglose Lage, verzagt dabei aber nicht. Er hält die kleine Gruppe zusammen: Er schafft Ordnung und behält seinen Sinn für Gerechtigkeit. Den Erwachsenen ist er sowieso überlegen: Diese versinken in Mitleid, Chaos und Egoismus. Linus bewahrt sein Gesicht – bis zum Schluss.

Zeichnung und Foto: Darko Mohedien

Zeichnung und Foto: Darko Mohedien

Das ist jedoch nicht alles – so  einfach hat Brooks diesen Charakter nicht entwickelt. Die Extremsituation der Entführung im Bunker nagt auch an ihm. Linus Antwort ist dabei aber nicht das Animalische sondern das Infantile. In zahlreichen Träumen und Erinnerungen flüchtet sich Linus in die von ihm verlassene Welt der Kindheit. Dabei macht er eine große Entwicklung durch: Am Ende zählt für ihn das verloren geglaubte – die Familie.

Tagebuch gegen die Entwürdigung

Dadurch wird auch die große Stärke des Romans deutlich: seine Form. Wie der Titel vermuten lässt, ist die Geschichte als Form eines Tagebuches gestaltet und dabei vermischen sich fiktionale und reale Welt des Lesers. Im Bunker liegt ein leeres Notizbuch für Linus bereit und Linus schreibt. Er schreibt gegen seine Entwürdigung, denn seine Gedanken kann ihm niemand nehmen. Und er schreibt gegen sein Vergessen. Dieses Notizbuch hält der Leser scheinbar in der Hand.

Linus richtet sich explizit an uns – tiefgreifende Fragen wie „Was würdest Du tun?“ inklusive. Doch auch sein Verfall und seine Erschöpfung werden deutlich: Die Tagebucheinträge werden gegen Ende unregelmäßiger bis hin zum Verlust der Syntax.

Authentisch, intensiv und erschreckend: Kevin Brooks gelingt mit seinem „Bunker Diary“ – nicht zuletzt durch die Form des Tagebuchs – ein gelungener Thriller für Jugendliche. Was am Ende bleibt: Offene Fragen und Verstörung. Doch das ist nicht schlimm – ganz und gar nicht.

Kevin Brooks, Bunker Diary, dtv junior, übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn, Euro 8,95

Ausgezeichnet mit der Carnegie Medal 2014, einer britischen Auszeichnung für Kinder- und Jugendbücher.