Im Land der tausend Bunker
Der albanische Diktator Enver Hodscha war paranoid. So paranoid, dass er die Verbunkerung des ganzen Landes befahl. Die robusten Betonmonstren stehen noch heute überall und die Albaner haben so einige Ideen, was sie mit ihnen anstellen können. Ein Streifzug.
Mein erster albanischer Bunker ist eine kleine Enttäuschung. Irgendwie hatte ich mehr erwartet, ein Betonmonstrum etwa, vielleicht auch ein paar unterirdische Gänge, auf jeden Fall etwas ziemlich Großes und Graues; etwas, das der sonst so pompösen kommunistischen Architektur angemessen wäre. Stattdessen ragt eine kleine rostbraune Kuppel aus dem Boden, direkt neben dem Palast des Ministerpräsidenten im Zentrum von Tirana.
Eine Treppe führt ins Bunkerinnere. Es ist so groß wie eine Flugzeugtoilette, aufrecht zu stehen ist nicht möglich, selbst ein kleiner Besucher muss seinen Kopf einziehen. Wie hier mehr als zwei Personen Raum finden sollten, ist mir schleierhaft. Um durch zwei schmale Luken blicken zu können, muss man in die Knie gehen. Draußen leuchtet der mehrspurige Hauptboulevard, Autos rasen vorbei und hupen. Man stützt die Hände unwillkürlich auf zwei rostige Halterungen und bemerkt, dass sie für Maschinengewehre angebracht wurden. Hatte sich der Diktator Enver Hodscha so die Verteidigung seines Landes vorgestellt? Das Volk im Halbdunkeln kniend, den Finger am Abzug?

Noch heute stehen tausende Bunker aus der Zeit des kommunistischen Regimes im ganzen Land – so auch im Dajti-Nationalpark unweit der Hauptstadt Tirana. Foto: google maps
Die Legende vom Ingenieur, der das Land verbunkern sollte
„Die albanischen Bunker sind einzigartig auf der Welt“, sagt Kujtim Çashku. Er ist Regisseur und hat sich lange mit den Verteidigungsbauten in seinem Land beschäftigt. In seinem Film „Kolonel Bunker“ erzählt er die wahre Geschichte des Militäringenieurs, der 1974 den Auftrag zur Verbunkerung des gesamten Landes bekam. Zwei Jahre verbrachte dieser Ingenieur mit der Konstruktion des idealen Bunkers, am Ende entwickelte er ein pilzförmiges Modell, das dann mehr als 500.000 Mal in Albaniens Landschaft gebaut wurde, jeweils einer für vier Einwohner. In Albanien erzählt man sich eine Legende über den Ingenieur: Als er seine Konstruktion den Parteikadern vorstellt, zweifelt Diktator Hoxha daran, ob das Pilz-Modell auch wirklich sicher gegen Bombenbeschuss sei. Ein Test soll Klarheit bringen. Artillerie geht über dem Bunker nieder, das Militär schießt aus allen verfügbaren Rohren. Im Halbdunkel des Bunkers aber muss der Militäringenieur sitzen und ausharren, ob sich seine Konstruktion als stabil erweist. Er überlebte, so sagt die Legende.
Man möchte ihr glauben, denn seine Bunker sind äußerst langlebig. Egal, auf welcher Straße man Albanien durchquert, ob man am Strand spaziert oder in den Bergen wandert, überall ragen diese Bunker aus dem Boden, übergroßen grau-bemoosten Schildkrötenpanzern gleich liegen sie in der Landschaft. In Beton gegossene Paranoia, die hinter jeder nächsten Straßenbiegung, auf dem nächsten Feld, hinter der nächsten kleinen Düne auftaucht.
Ein Bunker für jeden Haushalt
Hodschas Plan war es, dass jeder Haushalt in Albanien seinen eigenen Bunker haben sollte, um das Land notfalls gegen den Feind verteidigen zu können. Regisseur Kujtim Çashku versucht mir die Paranoia zu erklären: „Das Regime war gegen beide Systeme, gegen Amerika und gegen die Sowjetunion. Hodschas Paranoia beruhte auf Angst, und diese Angst wurde wie ein Virus in die Gesellschaft verpflanzt.“ Das Volk lebte im permanenten Ausnahmezustand, in steter Panik vor einer Invasion. Der Diktator hatte sich nach seiner Machtergreifung zunächst an Stalin, später an Mao orientiert. Sowohl mit der Sowjetunion als auch mit dem kommunistischen China hatte er aber in den siebziger Jahren gebrochen. „Er hat das Land vom Rest der Welt komplett isoliert“, sagt Çashku. „Und dann begann er, seine früheren Freunde und Politbüro-Mitglieder einen nach dem anderen abzuservieren.“Nicht nur die Zahl der Bunker, sondern auch die Zahl der Gefängnisse sei gestiegen. „Es gab am Ende aber mehr Bunker als Gefängnisse. Albanien wurde selbst zu einem riesigen verbunkerten Gefängnis“, sagt er. Mitten in Europa befand sich der Staat in einem Zustand, den man heute in ähnlichem Ausmaß wohl nur noch in Nordkorea finden kann.

Fast unscheinbar: Im Naherholungsgebiet auf dem Dajti-Berg fügt sich der Bunker ins Grün der Landschaft ein. Foto: Maria Wiesner
Der Gedanke, dass die ganze Welt der Feind sei, beherrschte über Jahrzehnte das Land, seine Regierung und grub sich tief in die Mentalität der Menschen ein. „Diese Bedrohung einer ausländischen Invasion schwebte wie ein Geist über uns, der jeden Moment zuschlagen und Albanien angreifen könnte“, sagt Çashku. Der Regisseur erinnert sich noch gut daran, wie fremd er sich fühlte, als er 1998 als Albaner seinen Film auf der Biennale in Venedig vorstellte: „Ich kam mir vor wie ein Kosmonaut in einer fremden Welt.“ Und genauso hätten ihn auch die anderen betrachtet, denn man sei es nicht gewohnt gewesen, einen Albaner zu treffen.
Ähnlich fasziniert sind heute ausländische Besucher von den Bunkern. Da Albanien nach dem Sturz des kommunistischen Regimes zu Beginn der neunziger Jahre wie seine Nachbarstaaten den Kapitalismus für sich entdeckte, sind die Bunker längst Konsumgut geworden. Ein Kiosk in Tirana verkauft Bunker als Schlüsselanhänger oder Aschenbecher an Touristen, selbst flitterumschwirrt als Schneekugel kann er mit nach Hause genommen werden.
Was tun mit den Bunkern?
Die echten Bunker waren zu robust, als dass man sie alle hätte beseitigen können – albanisches Militär habe das an einigen Stellen am Strand versucht, weil die mittlerweile versandeten Betonbauten in der Meeresbrandung für Schwimmer gefährliche Strömungen erzeugten. Doch das Unterfangen war zu kostspielig, als dass man es auf alle Anlagen im gesamten Land hätte anwenden können. Was aber tun mit ihnen?

Die Verbunkerung fand überall statt, selbst am Strand sind die Betonmonster heute noch zu finden. Foto: Maria Wiesner
Der ehemalige Präsident und Ex-General Alfred Moisiu schlug beispielsweise vor, sie zur Pilzzucht zu nutzen. Das dunkle und leicht humide Klima wäre wohl ideal gewesen. Doch diese Idee erntete mehr Spott als Begeisterung. Junge Architekten schlugen hingegen vor, die Bunker zu kleinen Hotels umzuwandeln. Ihre Lage ist ideal, so könnte sich eine ganze Reihe von Pensionen entlang der albanischen Küste ziehen. Im Sommer 2012 begannen Studenten aus Tirana und Mainz für ihr Projekt „Bed and Bunker“ tatsächlich mit der Umsetzung dieser Pläne. Auf ihren Fotos ist eine größere Anlage im Ort Tale an der nordalbanischen Küste zu sehen, die sie mit Holz ausgekleidet haben. An der Decke hängen moderne Lampen, sogar Waschbecken und Toiletten sind installiert. Abschließen konnten sie ihr Projekt jedoch nicht, wie ihre Facebook-Seite heute informiert.
Verwundert ist man darüber nicht – egal wohin man in Albanien kommt, man findet immer wieder graue Männer in grauen Anzügen, die sich an ihre Posten klammern. Manche sitzen noch immer auf denselben Stühlen, auf denen sie auch in der Zeit der kommunistischen Diktatur saßen. Dass junge Leute neue Ideen umsetzen können, ist keine Selbstverständlichkeit. Immerhin wurde das Projekt der Studenten für einen europäischen Preis für zeitgenössische Architektur nominiert.
Die Studenten waren aber nicht die Ersten, die sich an einer Neugestaltung der Bunker versuchten. Mitte der neunziger Jahre kamen die beiden amerikanischen Video-Künstler Cris Dupont und Thomas Logoreci mit dem festen Plan nach Albanien, die Bunker anzumalen. „Alle tausend“, sagte Dupont, als er Farben für das Projekt kaufte. Logoreci nahm diesen Versuch einer künstlerischen Annäherung an die Relikte der Diktatur mit einer Kamera auf, das Video „Bunker Mentality“ ist noch immer auf Youtube zu sehen. Alle Bunker zu verschönern schaffte Dupont dann doch nicht: Er überpinselte drei Anlagen in Blau, Gelb und Weiß. Die Anwohner sahen seinem Treiben mit freundlicher Neugier zu. Mittlerweile haben sich einige seiner Idee angeschlossen und weitere Bunker bemalt.
Alte und moderne Betonmonster
Um einen bunten Bunker in der Nähe von Tirana zu finden, genügt es, in den Dajti-Nationalpark zu fahren. Auf dem Gipfel des Berges warten mehrere Restaurants auf Besucher, eines von ihnen hat einen kleinen blauen Bunker direkt vor seiner Terrasse. Die Restaurantbesitzer haben augenscheinlich versucht, ihn farblich in das Konzept ihres blauen Lokals einzupassen. Am Wochenende ist der Dajti ein beliebtes Ausflugsziel, auch wenn die meisten hier lieber grillen und picknicken, da sich nur wenige Familien einen Restaurantbesuch leisten können.

Wenn schon für die Ewigkeit, dann bitte in blau: Bunker vor einem Restaurant im Dajti-Nationalpark. Foto: Maria Wiesner
Vom Gipfel des Berges bringt eine Seilbahn die Besucher zum östlichen Stadtrand Tiranas zurück. Die Fahrt dauert eine gute Viertelstunde, währenddessen kann man die Bunker zwischen den bewaldeten Hügeln zählen. In konzentrischen Kreisen ziehen sie sich um die Hauptstadt.
Die Gondel schwebt über alten Obstgärten, Hühner laufen zwischen umzäunten Wiesen herum, von irgendwoher klingeln Schafsglöckchen. Am Rande der Parzellen entstehen derzeit Dutzende Hochhäuser. In den Hochzeiten der Diktatur soll Hodscha den Wohnungsbau beschränkt haben, da Beton und Stahl anderweitig benötigt wurden – für die Verbunkerung. Nun jedoch wuchern Hochhäuser von allen Seiten ins Tal der Hauptstadt. Wer in diese Betonbunker der Jetztzeit ziehen soll, ist unklar.
Die Bunker der Vergangenheit sollen aber nicht in Vergessenheit geraten. Der enttäuschende Bunker neben dem Sitz des Ministerpräsidenten ist inzwischen Teil des Mahnmals „Post Bllok“, das an die Opfer des Kommunismus erinnert. Daneben stehen Betonstützen aus dem ehemaligen Arbeitslager „Spac“ und ein Stück der Berliner Mauer, eine Schenkung der Stadt Berlin. Das Mahnmal wurde im März 2013 eingeweiht, mehr als zwanzig Jahre nach dem Sturz der Diktatur – und das erste Zeichen gegen die Greuel der Vergangenheit.
Der Artikel erschien am 5.8.2015 in der FAZ. Wir danken Maria Wiesner für die Überlassung von Text und Bildern für den Blog.