2013: Erblast D – eine Ausstellung
Das 3.OG im Bunker war 2013 die letzte Station einer ganz außergewöhnliche Kunstinstallation: 24 Arbeiten der gebürtigen Mannheimerin Uscha Rudek-Werlé beschäftigen sich mit dem Holocaust.

Blick auf die ausgestellten Kunstwerke im 3. OG Foto: Uscha Rudek-Werlé
Uscha Rudek-Werlé ist 12 Jahre alt, als sie in der Schule auf Veranlassung der Alliierten einen sogenannte „Pflichtfilm“ über die Gräuel in den Konzentrationslagern anschauen muss. Sie ist erschüttert. Aber niemand spricht mit ihr über das, was sie gesehen hat, über die Zeit und den Krieg, weder in der Schule noch daheim. Immer wieder in ihrem Leben wird sie mit der Erinnerung daran und der dazugehörigen Geschichte konfrontiert und empfindet Scham und ein diffuses Gefühl der Verantwortung.
Mit Erschrecken nimmt sie in den frühen 2000er Jahren die zunehmenden Auftritte der Neo-Nazis und aufkommendes rechtes Gedankengut in der Öffentlichkeit wahr. Sie beschließt ihrem Unbehagen mit ihren künstlerischen Möglichkeiten entgegenzutreten.
2007 entsteht die erste Arbeit von Erblast D: 26 abgenutzte alte Handtücher werden in der Garage in Hüttenfeld weiß grundiert, danach in unterschiedlichen Farbtönen bemalt und jedes Handtuch wird mit einem rostigen Nagel einem Holzklotz befestigt. Auf der Oberfläche der Tücher stehen authentische Vornamen von zu Tode gekommenen Holocaust-Opfern. Sie nennt die Arbeit „Dein Name soll nicht vergessen sein“. In den folgenden Jahren wächst die Anzahl der Objekte.

Ein Wandobjekt aus Stacheldraht und rostigem Drahtgewirr, verschlungen, ohne sichtbare Aufhängung an der Wand, erinnert an eine düstere Wolkenform. Auf einem wellenförmigen Stück Eisen steht die Zahlenfolge 19 8 15 1 erinnert an eine eintätowierte KZ-Nummer. In der Buchstabenfolge des Alphabets ergibt es das Wort SHOA. Foto: U. Rudek-Werlé
Das Material aller ihrer Arbeiten sind Fundstücke: Ketten, Stahlrohre, Reste eine Metallkanisters, Bilderrahmen ohne Inhalt. Es sind die Fundstücke, die zu „ihr sprechen“, sie ansprechen und die zu den unterschiedlichen Objekten führen.

Ein kreuzförmiges, verrostetes Eisenfundstück mit einem Kreis aus Metalldraht und einer Eisenspirale wird ein minimalistisches Wandobjekt. „Die Kreisform wird zur Metapher der Stille, Ruhe sowie des Nichts und erinnert an das Schweigen der Mitläufer-Massen… „ (Werner Marx). Foto: U. Rudek-Werlé
Aber die Materialität der Objekte tritt bei den Arbeiten in den Hintergrund, sie ergeben eher einen Assoziationsraum für den Betrachter.
Die Arbeiten entstehen nicht in Bezug auf einen bestimmten Raum. Aber mit den ersten Arbeiten entsteht auch die Idee, diese auszustellen. Und es ist für Uscha Rudek-Werlé von Anfang an klar, dass es nur ein „geschichtsträchtiger Raum“ sein kann. Und es sollen genau sechs Ausstellungsorte sein, analog zu den sechs Zacken des Davidsterns.
Sie begibt sich auf Ort- und Raumsuche und stemmt zu ihren künstlerischen Arbeiten zusätzlich eine umfangreiche Korrespondenz. Im Katalog zum Projekt „Erblast D“ ist ein Ausschnitt aus dem Briefverkehr abgedruckt. Nicht alle sind begeistert von dem Projekt und öffnen ihre Türen: Die Frankfurter Paulskirche, der Speyrer Dom oder auch der Reichstag in Berlin winken nach mehrmaligen zähem Intervenieren ab. Die erste Ausstellung findet 2009 in der Synagoge in Hemsbach statt, mit acht Arbeiten.
Jede Ausstellung in den folgenden Jahren ist ein Unikat und zeigt immer eine unterschiedliche Zusammensetzung und eine unterschiedliche Anzahl von Arbeiten – genau dem Raum angepasst. Nach den beiden Ausstellungen 2009 folgen: 2010 die Alte Universität Heidelberg mit 10 Arbeiten, das Hambacher Schloss mit 13 Arbeiten, 2012 die KZ-Gedenkstätte Osthofen mit 12 Arbeiten.
Schon 2011 begibt sie sich auf die Suche nach einem Ort, an dem sie ihre Objekte langfristig unterbringen kann. Am liebsten mit der Möglichkeit, sie für bestimmte Gedenktage und Ereignisse immer wieder auszustellen. Das ist nicht ganz einfach, denn alle 24 Arbeiten, auch verpackt, benötigen einiges an Raum.
Zu dieser Zeit nutzt das Stadtarchiv den Ochsenpferchbunker schon als Außenmagazin. Es entsteht die Idee, die Arbeiten dort aufzubauen. Rudek-Werlé überlässt die Arbeiten der Stadt Mannheim, das Stadtarchiv soll die Arbeiten betreuen und an bestimmten Ereignissen dem Publikum zeigen.
Im September 2013 findet am Tag des offenen Denkmals im 3. OG des Bunkers dann die sechste Ausstellung mit allen 24 Arbeiten statt. „Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?“ – so ist das deutschlandweite Thema für diesen Denkmaltag – besser kann es gar nicht passen.

Die Arbeit „Deine Name soll nicht vergessen sein“. Auch bei der Langen Nacht der Museen 2013 war Erblast D im Bunker zu sehen. Foto: Andreas Schenk
Die Resonanz der Besucher ist groß. Gerade in Verbindung mit den Bunkerräumen verstärken die Arbeiten ihre Aussage. Viele Besucher verlassen die Ausstellung betroffen und sind froh, dass sich hier jemand engagiert, die Erinnerung wachhält, sich dazu bekennt, statt sie zu verleugnen.

Uscha Rudek-Werlé beim Aufbau der Arbeiten im Bunker. Foto: Cem Yücetas
Uscha Rudek-Werlé kann sich noch sehr gut an ihre ersten Eindrücke in den Räumen des Bunkers erinnern: muffig und sehr kalt. Zwei Tage im Januar 2013 baut sie mit mehreren Helfern dort ihre Arbeiten auf. Abgeschnitten von der Außenwelt, ohne Handyempfang und sehr, sehr kalt. Viele Erinnerungen aus ihrer Jugend drängen dabei wieder an die Oberfläche: Etwa an eine Stieftante, die in einem düsteren Wohnraum im Bunker in der Gartenstadt lebt und die sie in den 1950er Jahren dort oft besucht hat.

„Das Bekenntnis“: An einem Metallgestänge hängen neun großformatige, zum Teil zerrissene Fotografien, die durch durchsichtige Stoffbahnen leicht verdeckt sind. Sie zeigen einen aus Papier ausgeschnittenen Davidstern, den die Künstlerin in der Hand hält und der aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen ist. Die Installation spielt mit der Paradoxie der Bilder – es ist so gut wie nichts zu sehen, aber der Davidstern ist real. Erst im Kopf des Betrachters wird das fertige Bild zusammengesetzt. Foto: Cem Yücetas
Mit der Entscheidung zum Umbau des Bunkers zum neuen Domizil des Stadtarchivs musste auch Erblast D leider abgebaut werden. Sorgsam verpackt lagern die Werke nun in einem anderen Bunker. Wir hoffen, dass sie zu einem gegebenen Anlass wieder sichtbar werden.
Katalog: Uscha Rudek-Werlé, Erblast D – Kunst als Erinnerungsarbeit, mit Texten von Werner Marx, 216 S. mit 274 farb. Abb., 29,80 Euro, Verlag Regionalkultur.
Der Katalog kann auch im Onlineshop des Stadtarchivs bestellt werden. Der Erlös kommt dem Stadtarchiv zugute.